Mit der emeritierten Sozialhistorikerin und Kandidatin der erfolglosen kleinen Linkspartei Patria Para Todos (PPT), Margarita López Maya, sprach Ralf Leonhard.
SÜDWIND: Warum ist Venezuela so extrem polarisiert?
Margarita López Maya: Das geht auf die soziale Krise der 1980er und 1990er Jahre zurück. Damals geriet das Modell der erdölgesteuerten Entwicklung in die Krise. Die politische Elite war außerstande, sie zu bewältigen, und flüchtete sich in die neoliberale Sackgasse, die die Gesellschaft in Armut stürzte und die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefte. Auf diese soziale Polarisierung folgte die politische. Diese Rhetorik tauchte erstmals im Wahlkampf von Hugo Chávez auf. Und sie nützte ihm, deswegen hat er bis heute daran festgehalten.
Hugo Chávez hat seit seinem ersten Sieg Ende 1998 praktisch alle Wahlen gewonnen.
Bis auf die Volksabstimmung über die Verfassungsreform im Dezember 2007. Die neue Verfassung brachte ja zwei wesentliche Neuerungen: Dezentralisierung und Partizipation. Die von Chávez geplanten Änderungen hätten da einen Rückschritt gebracht. So sollte die Anzahl der Unterschriften für die Einleitung eines Plebiszits stark erhöht werden. Die Reformen, die auch die anderen Staatsgewalten der Exekutive untergeordnet hätten, wurden abgelehnt. Chávez hat dann begonnen, diese abgelehnten Reformen via Gesetz durchzusetzen. Jetzt sind der Oberste Gerichtshof, das Parlament und auch die Bürgerräte dem Präsidenten zu Willen.
Das Modell des Sozialismus des 21. Jahrhunderts, das Chávez durchsetzen will, geht einher mit weiterer Schwächung der Institutionen, Abschaffung des Pluralismus und Einschränkung des Privateigentums. Es widerspricht aber den Traditionen, und Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Bevölkerung dagegen sind. Dennoch wird weiter daran gearbeitet. Das erklärt auch, warum die Popularität von Hugo Chávez abnimmt.
Manchmal wundert man sich über die außenpolitischen Eskapaden und die sprunghafte Außenpolitik.
Venezuela war immer sehr abhängig von den USA. Die US-Erdölkonzerne genossen große Privilegien. Das hat starke antiimperialistische Gefühle geweckt. Mit dem politischen Wechsel begann also auch eine Politik der Multipolarität, das Bestreben, mehr Pluralismus in die Außenbeziehungen zu bringen. Aber je mehr Chávez dem Machtrausch verfällt, desto mehr wird improvisiert. Seit Jahren haben wir keinen diplomatisch erfahrenen Außenminister mehr. Der gegenwärtige Minister kommt aus der Gewerkschaftsbewegung und beherrscht keine einzige Fremdsprache. Chávez glaubt, er kann Außenpolitik ohne Fachleute machen.
Die Politik in Venezuela ist stark auf die Person des Präsidenten ausgerichtet. Kann es überhaupt einen Chavismus ohne Chávez geben?
Nein. Chávez hat keinen Nachfolger aufgebaut. Es gibt Gruppen, die sich loyal zur Macht verhalten, die aber untereinander zerstritten sind und vom Staatsgeld ganz gut leben. Aber ein Projekt gibt es nicht. Man kann nicht Betriebe verstaatlichen und den Sozialismus aufbauen, wenn man kein geschultes Personal hat. Die Mitarbeiter werden aber nach politischer Loyalität und nicht nach professionellen Kriterien ausgewählt.
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